In 30 Stunden zum nördlichsten Punkt Europas und zurück


Der nördlichste Punkt Europas
Fragt man nach dem nördlichsten Punkt Europas, so wird die häufigste Antwort „das Nordkap“ sein. Das in der norwegischen Finnmark gelegene Nordkap ist zwar wirklich weit im Norden, befindet sich aber auf einer Insel ( Magerøya [1] ). Schließt man in die Betrachtung auch europäische Inseln ein, so gibt es noch sehr viel nördlich gelegenere, welche zu Spitzbergen gehören oder zum russischen Archipel Franz-Josef-Land. Bei letzterem gehen Expertenmeinungen auseinander, ob es nicht schon Asien zuzurechnen ist [4]. Auf Magerøya selbst gibt es einen nördlicheren Punkt als das Nordkap. Es ist die westlich vom Nordkap liegende Landzunge Knivskjellodden, welche über Land nur zu Fuß erreichbar ist [3]. Somit ist das Nordkap lediglich der nördlichste Punkt Europas, der über eine Straße vom Festland aus erreichbar ist, denn Magerøya ist über einen Tunnel mit dem Festland verbunden.
Trotzdem oder gerade deswegen erfreut sich das Nordkap einer großen touristischen Attraktivität. Jährlich besuchen es tausende Menschen, unter anderem um die Mitternachtssonne zu sehen. Diese scheint dort vom 14. Mai – 29. Juli [2].

Will man zum nördlichsten Festlandpunkt Europas, so ist es nötig, sich weiter östlich auf die Halbinsel Nordkinn zu begeben. Start- und Endpunkt für die knapp 25 km weite Wanderung ist der Flughafen des kleinen Hafenortes Mehamn. Mehamn lebt vom Fischfang und der Fischverarbeitung. Der Ort wurde wieder aufgebaut, nachdem ihn die Wehrmacht 1944 zerstörte. Als die Wehrmacht sich 1943/1944 aus der Finnmark zurückzog, tat sie dies mit der Taktik der "Verbrannten Erde" und zerstörte dabei vieles.
Neben Fischfang gibt es in bescheidenem Umfang Tourismus. So ist der Hafen ein Anlaufpunkt der traditionellen norwegischen Postschiffslinie Hurtigruten und der Ort ist Ausgangspunkt für Touren, wie der zum nördlichsten Festlandpunkt Europas [5]. Erst seit den 80er Jahren ist es möglich, den Ort über eine Straße zu erreichen.
Wie viele Orte in der Gegend wurde Mehamn vom Meer aus besiedelt. An der Besiedlung waren neben Norwegern, auch Schweden und Finnen beteiligt. Auf der Karte [6] ist zu sehen, dass es zu vielen solcher kleinen Siedlungen an der Küste keinen Weg gibt. Es sind Flecken wie Omgang, Losvik, Svensvik oder Russevik auf Nordkinn, die früher kleine Fischereiorte waren und heute oft nicht mehr besiedelt sind. Der Name des letzteren erinnert an die Zeit als schwungvoller Handel mit den Pomoren [13] aus Russland betrieben wurde. Die Handelsroute führte damals vom südwestlich gelegenen Bodø an der nordnorwegischen Küste entlang, vorbei an Murmansk bis zum südöstlich gelegenen Archangelsk. Wichtige Handelsprodukte waren getrockneter Kabeljau und Getreide. Die Hauptzeit war von Mitte des 16. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts [7]. Der Rückgang des Fischfangs und das Ende des Handels mit den Pomoren nach dem 1.Weltkrieg führten auch dazu, dass die Besiedlung der nordnorwegischen Küste wieder zurückging.

Navigation und Gelände
Die Landschaft um Mehamn ist außerordentlich karg und steinig. Die Hügel steigen auf eine Höhe bis ca. 300 m an. Das Gelände fällt zur Barentssee steil ab oder sanfter, wenn ein Fjord den Übergang zwischen Land und Meer vermittelt. Bäume gibt es keine und selbst Büsche -wie man sie in Mitteleuropa kennt- kommen nur in geschützten Lagen vor. Startpunkt der Wanderung ist der Parkplatz am Flughafen, welcher im Südwesten Mehamns liegt. Parken sollte man nicht auf dem Parkplatz direkt vor dem Eingang des Flughafens, sondern auf den kostenlosen Stellflächen, rechts der Straße zum Flugplatz, unmittelbar vor demselben.

Die Wanderroute beginnt zwischen zwei künstlich errichteten Granitsäulen. Der Weg ist durchgängig mit roten T-Markierungen versehen. Diese Markierungen sind zwar gut, aber nicht allzu dicht, weswegen sich die Mitnahme eines GPS empfiehlt. Einen GPS-Track für den Wanderweg kann man sich z. B. auf [8] herunterladen. Die GPS-Punkte dieser Seite sind recht passabel, auch wenn sie nicht immer den Markierungen exakt folgen. Das norwegische Statens Kartwerk hat bisher auf eine Eintragung der Wanderroute auf die entsprechende Karte verzichtet [9]. Auch die aktuelle Karte auf dem Internet-Auftritt des Statens Kartverk lässt die Route vermissen [10]. Wir übertrugen daher die Routenführung von der digitalen auf [8] auf die Wanderkarte [9]. Außerdem hatten wir noch einen Kompass dabei, da wir nicht die ganze Zeit über das GPS laufen lassen wollten oder falls dasselbe ausfallen sollte. Zusätzlich gab es ein kleines Fernglas, um schlecht sichtbare Markierungen besser zu entdecken und mögliche Wegverläufe besser einschätzen zu können. Wir fanden es ratsam, trotz der Wegmarkierungen diesen Aufwand für die Navigation zu betreiben, denn der Trampelpfad verliert sich bald nach dem Flughafen und man läuft weglos.

Bei regnerischem oder nebeligem Wetter ist von der Wanderung abzuraten. Das Gelände besteht über weite Strecken aus Blockgelände, welches im nassen Zustand gefährlich ist. Trotz GPS empfiehlt sich diese Tour nicht bei schlechter Sicht, da die Landschaft wegen der Welligkeit recht unübersichtlich ist. Viele Seen, sumpfiges Gelände und Wasserläufe sind zu umgehen. So dauert der Anmarsch auch einen ganzen Tag.

Ausrüstung
Die Mitnahme eines Zeltes ist zu empfehlen. Auf Kinnarodden gibt es einige wenige Plätze, die sich zum Zelten eignen. Wir hatten uns jedoch gegen Zelt und Biwakausrüstung entschieden. Damit verzichteten wir auf eine Übernachtung und setzen auf Geschwindigkeit, soweit es das Gelände hergab. Unter normalen mitteleuropäischen Lichtverhältnisses ist daran überhaupt nicht zu denken, doch der skandinavische Sommer spendet Mitte August noch so viel Licht, dass das Wandern auch nachts möglich ist. Regenfeste Kleidung und Rucksäcke sollten unbedingt benutzt werden. Schwere oder mittelschwere Wanderschuhe sind gut, um dem Fuß in den Steinfeldern ausreichend Halt zu geben und vor Verletzungen zu schützen. Außerdem sollten die Schuhe möglichst wasserdicht sein, da es Feuchtstellen gibt und einige Wasserläufe durchquert werden müssen. Entschließt man sich zu einer Wanderung ohne Übernachtung, ist es ratsam, nur Bekleidungskombinationen zu verwenden, die vorher ausgiebig ausprobiert wurden. So hatte ich eine neue Socken- und Schuhkombination an, über die sich meine Füße hinterher beschwerten. Wenn man 30 Stunden am Stück läuft, zeigen sich Ausrüstungs- oder Körperschwächen.

Ein Handy nutzt auf der Landzunge Kinnarodden nichts. Schon bald nach Mehamn gibt es kein Handynetz.

Zum nördlichsten Punkt
Nachdem man zwischen den beiden Granitsäulen hindurch gegangen ist, verläuft ein Pfad am Zaun des Flughafens Richtung Süden. Am Ende des Rollfelds schwenkt man auf die erste Anhöhe ein, um das Tal des Flusses Mehamnelva zu verlassen. Die erste Hügelkette mit dem Rundhaugen (117 m) wird erklommen. Der Trampelpfad verliert sich schon vor dem Rundhaugen. Ab hier geht es weglos weiter. Die Markierungen und wenigen Stangen lassen verschiedene Wegkombinationen zu. Der genaue Weg muss selber gesucht werden. Es ist nicht so wie in den Alpen, wo es mitunter markante Geländemarken gibt und häufig ausgetretene Pfade den Weg vorgeben. Nach dem Überschreiten der Hügelkette geht es nach Südwesten, dabei wird der See Myrvannet südlich umgangen. Nun gelangt man zum engen Tal des Flusses Sørfjordelva.
Auf dem Hinweg querten wir den Fluss in nördlicher Richtung eher, als die GPS-Koordinaten es vorgaben. Nachdem Verlassen des Tals erreicht man einen kleinen See, in welchen ein Bachlauf aus Richtung 10 Uhr mündet. Diesem Bachlauf folgt man, passiert einen weiteren kleinen See und umrundet einen dritten. Dabei wird die Richtung 10 Uhr grob beibehalten. Nachdem man einige Seen und Bäche hinter sich gelassen hat, ist der Hügel Bjørnviktuva (320 m) zu überschreiten. Hierbei geht es in Richtung 11 Uhr weiter und der große See Bjørnvikvannan wird östlich passiert. Von nun an läuft man ungefähr im Bereich der Gemeindegrenze zwischen Gamvik -zu der Mehamn gehört- und Lebesby. Die Gemeindegrenze ist aber zur Orientierung im Gelände nutzlos, da sie dort nicht markiert ist.

Unterwegs trafen wir nur einen Wanderer. Dieser war auf dem Rückweg, irgendwo zwischen Bjønviktuva und Gidnenjárga  (309 m). Weitere Lebewesen waren auf der Wanderung nur einige Vögel und wenige Rentiere. Nach dem Treffen verloren wir das erste Mal kurzfristig den Weg. Das passierte noch zwei- oder dreimal. Dank GPS war dies aber nie ein Anlass zu großer Sorge. Da ohne Zelt unterwegs, versuchten wir aber, die optimale Route zu finden, denn ein Umherirren kostet Kraft.

Nach dem Bjørnviktuva schwenkt der Weg Richtung Norden und folgt über lange Zeit dem Fluss Sandfjordelva und den Seen, die er bildet. Wenn der Fluss sich nach Nordwest zum Sandfjord wendet, hat man die Wahl zwischen zwei Wegvarianten. Wir entschieden uns für die durchs Tal Østavindskardet, um auf das Magkeilfjordfjellet zu gelangen. Wir kamen dabei an zwei Zelten vorbei, deren Besitzer schon schliefen. Der nächste Wegverlust war am spannendsten. Es war kurz vor dem Ziel. Aus einer weiten Senke, musste ein flacher Hügel im Bereich des Nordkinnfjellet erstiegen werden. Das GPS zeigte grob in Richtung Hügel. Da es schon Mitternacht war, befanden wir uns in der kurzen Dämmerungsphase. Daher war das Erkennen entfernter Wegmarkierungen auch mit dem Fernglas nicht mehr möglich. Von seeseits kommend stieg Nebel auf, der sich jedoch nach kurzer Zeit wieder verflüchtigte. Schließlich fanden wir einen günstigen Aufstieg auf den flachen Hügel und der Weg war wieder klar.

Kurz bevor es vom Nordkinnfjellet runter ins Nordavindskardet geht, wird eine Stelle passiert, an der früher das Wrack einer Ju 88 lag. Das Flugzeug ist im Februar 1943 bei dem Angriff auf einen russischen Schiffskonvoi angeschossen worden. Die Mannschaft überlebte die Notlandung auf dem verschneiten Fjell. Das Wrack wurde 2001 vom Norsk Luftfahrtmuseum in Bodø geborgen und mit großen Aufwand sowie ungarischer und deutscher Unterstützung restauriert. Es kann im Museum in Bodø besichtigt werden. Eine weitere JU 88, lag in der Nähe des Strands am Sandfjord und wurde ebenfalls geborgen [11]. Die JU 88 im Berliner Technikmuseum ist mit Unterstützung des Norsk Luftfahrtmuseum restauriert worden, welches verschiedene Einzelteile lieferte [12].

Ziel und Rückweg
Den unangenehmsten Teil der Wanderung bildete der Abstieg vom Nordkinnfjellet (ca. 275 m) ins Tal Nordavindskardet (110 m). Dies geschah über einen steilen Blockgrat. Dann noch ein letzter Kraftakt hoch auf 237 m, zur Spitze der Landzunge Kinnarodden, leise vorbei an einem weiteren Zelt. Der Blick auf die ruhige Barentssee war überwältigend. Die Uhr zeigte inzwischen 4.30 Uhr und die Sonne stand schon wieder über dem Horizont, halb versteckt hinter Wolken. Bevor es zurückging, rasteten wir eine gute Stunde, die wir halb dösend verbrachten.

Für den Rückweg wählten wir die zweite Wegvariante. Diese führt aus dem Nordavindskardet an den Strand des Sandfjorden. Dort steht eine kleine verschlossene Hütte. Der Strand ist voller Felsgeröll und Schrott. So findet man Netzschwimmer, Treibholz und den üblichen, schwimmfähigen Schiffsmüll. Sobald der Strand anfängt, nach Südwest zu verlaufen, schwenkt man ins Landesinnere ab. Hier ging es nun am vierten und letzten Zelt vorbei. Dies war der bisher beste Zeltplatz. Es ist eine leichte Senke, mit einem Wasserlauf in der Nähe und Blick auf das Meer. Sogar eine kleine hölzerne Kabeltrommel, die man als Tisch oder Sitz nutzen kann, hatte jemand vom Strand heraufgeschafft. Nun geht es an einigen kleinen Seen vorbei, welchen ein größerer mit Namen Sandfjordvannet folgt. Dem Zulauf des Sees aus Südost ist nachzugehen. Dieser Bachlauf ist der Sandfjordelva. Nach kurzer Zeit kommt der Abzweig zur ersten Wegvariante. Von hier aus suchten wir den Weg rückwärts nach Mehamn.

Nach gut 30 Stunden waren wir zurück am Flughafen.

Fazit
Wir würden die Wanderung noch einmal unternehmen, dann allerdings mit Zelt, denn die Landschaft ist so schön und weltfern, dass es sich lohnt, in ihr mehrere Tage unterwegs zu sein.

Infos:
Anreise
Mit dem Auto sind es ca. 2.900 km von Berlin nach Mehamn. Niedrige Höchstgeschwindigkeiten in den skandinavischen Ländern und Fähren verlangsamen die Anfahrt auf ca. 3 Tage. Zu beachten ist, Sprit in Skandinavien teuer ist, insbesondere in Norwegen. Wenn man alleine reist, ist Fliegen eventuell günstiger als Autofahren. Zwischenlandungen gibt es ab Berlin in Oslo und Tromsö oder Kirkenes. Eine Zugreise nach Mehamn ist nicht möglich, da die Provinz Finnmark über keinen Bahnanschluss verfügt. Soweit ich weiß, wird Mehamn auch nicht von öffentlichen Bussen angefahren. Eine exklusive, aber zeitaufwendige Anfahrt wäre bis Bergen mit dem Zug oder Bus ab Oslo und von dort mit der Hurtigruten bis Mehamn, dem nördlichsten Hafen dieser Schiffslinie. Allein die Schifffahrt dauert allerdings knapp eine Woche.

Übernachtung
In Mehamn gibt es einen Campingplatz namens Adventure Camping, der jedoch mehr auf Wohnmobile ausgelegt ist. Man kann dort außerdem Hütten mieten. Zusätzlich wird verschiedenes zum Vermieten angeboten, wie z. B. Autos oder Seekajaks. Mehamn hat weitere Unterkünfte wie das Arctic Hotel oder – etwas alternativer – das Red Tree Guesthouse, die auch Touren organisieren. Grundsätzlich gilt in Skandinavien ( außer Dänemark ) das Jedermannsrecht, welches einem auch das Biwakieren und Zelten in der Natur erlaubt.

















Quellen
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Nordkap
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Mitternachtssonne
[3] Peter Mertz "Lappland: Schweden, Finnland und Norwegen mit Lofoten." 1. Auflage 2014, Bergverlag Rother
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Franz-Josef-Land
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Mehamn
[6] Straßenkarte "Nord-Norge" Cappelen Kart Nr. 5, Maßstab 1:400 000, Kümmerly und Frey
[7] http://en.wikipedia.org/wiki/Pomor_trade
[8] http://www.wandermap.net/de/route/2306228-cape-nordkinn
[9] Wanderkarte "Mehamn" 2237 II, 11-2002 Statens Kartverk
[10] http://www.norgeskart.no/#10/953842/7934540
[11] http://luftfartsmuseum.no/wp-content/uploads/2012/07/Junker-Ju-88-restaurering.pdf
[12] http://www.sdtb.de/Medieninfo-Deutsches-Technikmuseum-zeigt-restauri.1681.0.html
[13] http://de.wikipedia.org/wiki/Pomoren
Beschreibung einer Wanderung nach Kinnarodden im Winter siehe Artikel im DAV-Panorama 1/2015


Lothar, Stand: 18.Januar 2015, Optimiert für die Bildschirmauflösung 1080x1024

zurück zur Startseite