3 Tage Sella im November
Um diese Tourenbeschreibung besser nachvollziehen zu können,
kann man sich hier eine 970 KB große Landkarte der Sella-Gruppe herunterladen.
Mittwoch 31.Oktober 2001
Ich stelle das Auto auf den Parkplatz des Sellajoch-Hauses gegen 23:30 Uhr ab. Da das
Sellajoch-Haus schon seit Mitte Oktober geschlossen, muss im Auto
übernachtet werden.
So spät im Jahr ohne Ski oder Schneeschuh unterwegs sein zu
können, ist schon eine Seltenheit. Es liegt sehr wenig Schnee, da
der Oktober niederschlagsarm gewesen ist.
Die Idee jetzt noch über das verlängerte Wochenende zu
fahren, hatte ein Bergkamerad, der jedoch kurzfristig absagen musste.
Also machte ich mich alleine auf den Weg. Eigentlich sollte es ja ins
Allgäu gehen, aber die Alpine Beratung des DAV (+4989294940) hatte
mir dazu geraten, südlich des Hauptkammes etwas zu unternehmen, da
von Nordwesten her ein Tief im Anmarsch war.
Die Morgensonne strahlt den Langkofel 3181m, die Fünffinger Spitzen 2998m und die Grohmanspitzen 3100m oberhalb des Sellajoches an (von rechts nach links).
|
Donnerstag 1.November 2001 zum
Rif. Pisciadu:
Über Nacht ist die Luftfeuchtigkeit zu Eiskristallen an
Gräser und Büschen ausgefallen, und es geht ein schneidend
kalter Joch-Wind.
Die Sonne scheint jedoch klar und kraftvoll durch lockere Wolkengruppen
und es verspricht, ein schöner Tag zu werden.
Ich mache mich auf dem Wanderweg 649er zum ältesten Klettersteig
der Dolomiten auf, dem Pößnecker-Klettersteig von 1912.
Im Rucksack sind ca. 13 Kilo Ausrüstung. Essen für 2 Tage,
Biwakausrüstung (Hoffentlich bin ich nicht bei der Kälte
gezwungen draußen zu schlafen.) und Klettersteig-Set inklusive
Helm, sowie einige warme Anziehsachen.
Nordwest Seite der Sella vom Sellajoch-Haus aus. Zu sehn sind die Lokomotive, der 1., 2. und 3. Sellaturm (von rechts nach links). Der Einstieg des Pößnecker-Klettersteigs befindet sich am linken Bildrand. Vorsicht, der neuen Einstieg befindet sich einige Meter weiter rechts als der alte Einstieg, der mit einem kleinen Holzkreuz gekennzeichnet ist. |
Es wird noch eine kurze SMS, mit Stand- und Zielort und
eingeschlagene Route, nach Hause gesandt. Sollte ich mich nach einer
bestimmte Zeit nicht zurückmelden, wird der ASS-Notruf
(+498962424393) des DAV mit den letzten Koordinaten alarmiert. Wenn man
alleine geht, ist es besser wenn bekannt ist, wo man sich ungefähr
befindet. Ob es dann noch etwas nutzt, ist eine andere Frage.
Der Handy-Empfang in der Sella ist an vielen Stellen recht gut, so z.B.
am Rif.Pisciadu und am Rif.Boe. Allerdings sollte für den
Ernstfall immer
damit rechnen keine oder nur schlechte Verbindungen mit dem Handy zu
bekommen.
Am Rif.Boe gibt es außerdem eine Art Notrufsäule, so dass
man im Ernstfall auch ohne Handy einen Hilferuf absetzen kann.
Sobald ich aus dem kalten Joch-Wind bin, wird mir ich auch gleich
von der
Schlepperei warm.
Ich steige in den Klettersteig, ohne es zu merken, über den alten
Einstieg (mit einem Holzkreuz bezeichnet) ein. Nach ca. 15 Metern
Aufstieg
ohne Stahlseil mit Stellen im II Grad zieht von rechts ein neues
Stahlseil
rauf.
Im oberen Bereich des Pößnecker-Klettersteigs steht diese kleine Marien-Schnitzerei. |
Später erzählt man mir, dass der neue Einstieg ein paar
Meter rechts vom alten liegt.
Nach ca. 4 Stunden ist der Aufstieg auf dem 2941m hohen Piz Selva
geschafft.
Vom Piz Selva
aus erschließt sich einem das Innere der Sella. Auf dem Foto zu
sehn ist die Altipiano delle Meisules. Es ist Art Hochebene, die
zu ihren Westseite von Türmen und Spitzen begrenzt wird, welche
von innen relativ leicht zu erwandern sind. So gibt es im Bereich des
Cresta Rotic (der Abschnitt zwischen Himmel und Hochebene auf dem Foto)
nur geringe Höhenunterschiede und die Bergrücken fallen
sanft nach innen ab. Alle Turm- und Gipfelspitzen haben jedoch eine
Gesamthöhe bis knapp 3000 Meter und sind von außen meist nur
durch Kletterei zu erreichen. |
Das Vorkommen von Schnee und die vereisten Stellen hielten sich im
Pößnecker-Klettersteig in Grenzen, obwohl erst am Nachmittag
Licht in den Steig kommt. Weiter geht es, auf dem Grat Cresta Rotic,
auf dem problemlos der Piz Gralba 2972m und der Piz Miara 2964m
überschritten wird. Auf dem 676er wird nach Verlassen des Cresta
Rotic ins Valon de Pisciadu eingestiegen. Am Einstieg über den
Talschluß liegen die wenigen Seilversicherungen teilweise unter
dem Schnee, aber die Stelle ist trotzdem passierbar.
Der Piz Miara bietet zwar bei seiner Besteigung aus dem Inneren der Sella keine bergsteigerischen Highlights, man bekommt jedoch auf der Spitze eine schöne Holzschnitzerei in Form eines gekreuzigten Jesus zu sehn. |
Für die gesamte Strecke vom Sellajoch-Haus zum Rif. Pisciadu
werden mit Pausen ca. 9 Stunden benötigt.
Hier bin ich im Eingang ( Türhöhe ca.165 cm ) zum Winterraum des Rif.-Pisciadu. Leider kam ich nicht dazu hier zu übernachten; die Erklärung dafür siehe im Text unten. Aber es bleibt mir so eine kalte Nacht erspart. Wie auch im Winterraum des Rif.Boe gibt es keinen Ofen und es ist Anfang November schon winterlich kalt. Obwohl in beiden Winterräumen Decken vorhanden sind und ich außerdem einen leichten Schlafsack dabei habe, will es Nachts nicht so richtig warm werden. Ich empfehle einen warmen Schlafsack für Minustemperaturen mitzunehmen. |
Bei Sonnenuntergang kommen noch zwei Franzosen und ein Junge den Via
Ferrata Brigata Tridentina rauf und suchen nach dem Abstieg. Sie haben
keine Karte und keine Taschen- oder Stirnlampen dabei. Da sie
außerdem nicht für eine Übernachtung im Winterraum
ausgerüstet sind, müssen sie wieder Absteigen. Ich bringe sie
mit meiner Stirnlampe auf einem Stückchen Dolomiten-Höhenweg
Nr.2, der im oberen Bereich ein Klettersteig ist und
im unteren Bereich ein steiles und an einigen wenigen Stellen vereistes
Geröllfeld,
zu Tal. In tiefer Dunkelheit müssen wir dann noch zwei
Wegabzweigungen
beachten (ohne Stirnlampe wäre dies unmöglich) und gelangen
schließlich
unversehrt zum Parkplatz an der Kurve auf 1965m der Straße von
Corvara
zum Grödner Joch. Ein günstig gelegener Parkplatz, wenn man
das
Rif. Pisciadu möglichst schnell erreichen will,
was ohne Klettersteige von hier aus jedoch nicht geht.
Die Franzosen bieten mir eine Übernachtung in ihrer Pension in
Kolfuschg an. Ich nehme dieses Angebot dankbar an, denn wenn z.B. beim
nächtlichen Aufstieg die Stirnlampe ausfallen würde,
hätte man in der Dunkelheit große Schwierigkeiten den Pfad
zurückzugehen.
In der Pension wird mir dann ein französischer
Klettersteigführer gezeigt. Dort steht der Klettersteig Brigata
Tridentina mit 1 Stunde unter sportlichen Bedingungen verzeichnet, was
immer auch unter "sportlichen Bedingungen" zu verstehen ist. Wie sich
am nächsten Tag herausstellt, kann noch nicht mal ich ohne
Gepäck, und ich bin nicht der Langsamste im Klettersteig, diese
Zeit erreichen. Die Franzosen hatten sich von dieser Zeitangabe
verleiten lassen, ihre Stirnlampen im Auto zulassen.
Freitag 2.November 2001 zum
Rif.Boe:
Über den Brigate Tridentina Klettersteig geht es bei
schönstem Sonnenschein rauf zum Rif.Pisciadu.
Hierfür brauche ca. 2 Stunden 45 Minuten.
Von Kolfuschg aus kann man den 2985 Meter hohen Cima Pisiadu sehn (Bildmitte), dessen Spitze von den ersten Strahlen der Morgensonne beschienen werden. Das Rif. Pisciadu liegt unterhalb der Nordost-Flanke (im Bild die rechte Flanke) des 2936 Meter hohen Sas da Lech, der dem Cima Pisiadu rechts gegenüber liegt. |
Auf dem Rif.Pisciadu räume ich meine Sachen im Winterlage
zusammen und mache mich auf dem Dolomiten-Höhenweg Nr.2 Richtung Rif.Boe
(Bamberger-Hütte).
Oberhalb des Lech di Pisciadu stehen bizarr zerklüftete Felsen. Auf den Geröllfeldern befindet sich ein Trupp Gemsen, die sich in der Morgensonne wärmen. Links im Bild der verschneite Talschluß des Valon de Pisciadu, über den man von der Altipiano delle Meisules zum Rif. Pisciadu gelangt. |
Oberhalb des Lech di Pisciadu zweigt der Pfad einmal in einen mit
Stahlseilen versicherten Steig und einmal in einen ohne Versicherungen.
Ich nehme den ohne Versicherung, da ich keine Lust habe schon wieder
das Klettersteig-Set anzuziehen. Unterhalb des Piz Pisciadu
überlege ich kurz, ob ich diesen Gipfel nicht auch machen soll.
Auf der Karte ist zwar kein Pfad eingezeichnet, doch es existieren
Farbmarken Richtung Gipfel. Ich spare mir jedoch den Piz Pisciadu, da
ich heute noch auf den Piz Boe will und nicht weiß, wie lange ich
zum Rif.Boe brauche.
Am Zwischenkofel zweigt der Weg nochmal in einen versicherten, der an
der Westflanke des Zwischenkofels entlang führt und einen
unversicherten Weg, der über den 2902 Meter hohen Zwischenkofel
führt. Ich nehme den unversicherten Weg und treffe auf dem Gipfel
ein gutes Dutzend Landsleute, die ich aber nach einem kurzen "Guten
Tag" schnell hinter mir lasse. Wie gestern,
ist die Anzahl der angetroffenen Berggänger auch heute wohltuend
gering.
Nach insgesamt 2 Stunden und 15 Minuten erreiche ich das Rif.Boe, wo
der Winterraum bezogen wird. Dann geht es mit leichten Gepäck
Richtung
Piz Boe, dessen Gipfel ich nach einer guten Stunde erreiche.
Im Aufstieg muss ich bei vereisten Stellen aufpassen, die schlimmsten
Stellen sind jedoch mit Stahlseilen versichert. Gamaschen sind recht
nützlich, da sich an einigen Stellen Flugschnee gesammelt hat.
Der 3125 Meter hohe Piz Boe ist der Hauptgipfel der Sella. Vom Rif. Boe ist er problemlos zu besteigen. Unterhalb der Schattenseite des Piz Boe (im Bild links vom niedrigerem Nebengipfel des Piz Boe) hebt sich vor dem großen Schneefeld der 2902 Meter hohe Zwischenkofel ab, über dessen Gipfel der Dolomitenhöhenweg-Nr.2, der zwischen dem Rif.Pisciadu und dem Rif.Boe verläuft, oder man nimmt den Bamberger-Weg, einem mit Drahtseilen versicherten Steig, der auf der im Bild sichtbaren Westflanke des Zwischenkofels verläuft. Am linken Bildrand kann man auch noch in der Ferne den Tofane di Rozes, mit seiner schneebedeckten Gipfelflanke, erkennen. |
Auf dem Piz Boe ist es dann recht zugig und kalt. Das Thermometer an
der Gipfelhütte zeigt auch 4° Grad minus, aber die
Windchill-Temperatur ist deutlich niedriger (siehe hierzu auch Windchill-Tabelle). Die
Fernsicht ist sehr gut. So kann ich Richtung Osten, vom
Defreggen-Gebirge an den Tofanen vorbei bis zur Tamer-Gruppe
viele Gebirgstöcke klar erkennen.
Zurück im Rif.Boe muss ich Schnee schmelzen, da keine
flüssige Wasserquelle in der Umgebung der Hütte vorhanden
ist. Mit 5 Decken inklusive meines zu leichten Schlafsacks stelle ich
mich auf eine kalte Nacht ein.
Samstag 3.November 2001 zum
Rif.Franz Kostner:
Heute geht es über den 647er zurück zum Sella-Joch. Den 647er
passiere ich auf der Plane de Siela recht schnell, da ein Rudel Gemse
starken Steinschlag auslöst, als sie anfangen den Hang oberhalb
aufzusteigen. Es besteht zwar keine direkte Gefahr, man weiß
jedoch nie, ob sie nicht plötzlich über einem auftauchen.
Die sonnenbeschienenen Südwände des 2927 Meter hohen Col Turont, hinter dem das Rif. Boe liegt, laden auch noch spät im Jahr zum Klettern ein. Die Kletterer tummeln sich jedoch mehr an der äußeren Südseite der Sella, denn da sind die Parkplätze näher. Immerhin braucht man von der Straße 242 bis auf die Plan de Roces mindestens eine Stunde. |
Ein Stückchen geht es an der Straße 242 auf der
Südseite der Sella Richtung Sellajoch entlang. Und da sind auch
schon jede Menge Sportkletterer, die die sonnenwarmen
Südwände der Sella suchen, wobei die Autokennzeichen zeigen,
dass die meisten Kletterer aus dem süddeutschen Raum kommen. Am
Sellajoch treten sich die Autotagesausflügler gegenseitig auf die
Füße; mit knapper Not entkommen ich und mein großer
Rucksack den neugierigen Blicken.
Den Parkplatz des Sellajoch-Hauses erreiche ich nach ca. insgesamt 3
1/2 Stunden. Von hier aus lasse ich mich von meinen Auto nach Arabba
bringen und von dort weiter zum Passo Campolongo.
Am Passo Campolongo steige ich über den 636er mit vollem
Gepäck zum Rif.Franz Kostner auf.
Ich weiß nicht, ob diese Hütte ein Winterlager hat. Wenn ja,
könnte ich eventuell noch den Klettersteig zum Boe Seekofel
machen. Wenn
nein, würde ich an der Hütte die Dämmerung abwarten und
dann
wieder absteigen.
Nach 2 Stunden erreiche ich das Rif. Franz-Kostner, die leider keinen
Winterraum hat, jedoch eine verglaste Veranda, mit einem wunderbaren
Blick Richtung Osten.
So kann man in aller Windstille das gleiche Panorama wie auf dem Piz
Boe
genießen (vom Defreggen-Gebirge bis zur Tamer-Gruppe) und sich in
aller
Ruhe ansehen, wo der Dolomiten-Höhenweg Nr.1 lang läuft.
Kurz vor dem Sonnenuntergang geht es dann wieder beim
Alpenglühen ins Tal, wobei man kalkulieren sollte, welchen Teil
des 637ers man problemlos mit Stirnlampe gehen kann. In der
Dämmerung nehmen Bec De Roces, es sind
wie durch Riesenhand hingeworfene große Dolomitblöcke, die
schon
zur Tageszeit einen imposanten Eindruck machen, sich recht bedrohlich
aus,
und man kann sich bei Dunkelheit in ihnen verirren, da es hier ab und
an
kleine Trampelpfade gibt, die im Nichts enden.
Glücklich am Auto gelandet, geht auch gleich die nächtliche
Autoheimfahrt los.
Diesmal wird wenigstens die italienische Maut eingespart und die
Strecke über Corvara Richtung Bruneck ins Pußta-Tal
genommen. Viel ist dadurch nicht gewonnen, da die kleinen
Bergstraßen (inklusive todesmutiger Verkehrspartner) mehr Zeit
und mehr Nerven als die Autostrada kosten.
Sonntag 4.November 2001 nach Hause:
Nach ca. 11 Stunden und 970 Kilometer Fahrt glücklich und
müde im heimatlichen Hafen eingelaufen.
____________________
Quellen:
Literatur: Franz
Hauleitner "Dolomiten-Höhenwege 1-3" Bergverlag Rother
Landkarten:
Tabacco-Karten Nr.05